Einleitung:
Erinnern, das ist vielleicht die qualvollste Art des Vergessens
und vielleicht die freundlichste Art
der Linderung dieser Qual.[1]
(Erich Fried)
Das Wort Trauma stammt aus dem Griechischen und bedeutet Wunde, Verletzung und Gewalteinwirkung in körperlicher oder psychischer Hinsicht.[2]
Ebenso wie das körperliche System, kann auch das seelische System überfordert und somit verletzt werden.
Das Sprichwort, „Zeit heilt alle Wunden“, setzt körperliche und seelische Verletzung gleich. Eine körperliche Verletzung verheilt nach einiger Zeit. Der sichtbare Heilungsprozess lässt uns annehmen, dass sich jede Wunde innerhalb eines gewissen Zeitraums schließt.
Ganz anders verhält sich dies aber bei seelischen Verletzungen. Ein sichtbarer Heilungsprozess ist nicht vorhanden und die Zeit alleine kann kaum eine seelische Wunde heilen.
Die Verletzungen seelischer Art müssen im gleichen Maße, wie die körperlichen Heilungsmechanismen, untersucht werden. Dies ist die Aufgabe der Psychotraumatologie. Sie untersucht die Verletzlichkeit von psychologischen und psychosozialen Systemen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Verletzungen seelischer Art, welche durch menschliche Gewalt hervorgerufen werden (man-made-disaster). Das Trauma als Folge von menschlicher Gewalt findet im Krieg seine massivste Form. Folglich lässt sich Kriegstraumatisierung als extreme Form von psychischer Traumatisierung charakterisieren.
Das Konzept der „traumatischen Kriegsneurose“ wurde im 19. Jahrhundert entwickelt und durch die Ereignisse des I. Weltkrieges weiterverfolgt.[3]
Auch nach dem II. Weltkrieg wuchs das wissenschaftliche Interesse für die psychosozialen Folgen eines Krieges kurzzeitig, verlor sich in den Nachkriegsjahren jedoch wieder.
Der Vietnamkrieg 1968 stellt ein historisches Ereignis für die
Kriegstraumaforschung dar. Die psychischen Auffälligkeiten der Kriegsveteranen weckten das Interesse der Forschung sowie der Öffentlichkeit und forderten ein detailliertes Wissen über den Zusammenhang von traumatischen Erlebnissen und deren Verarbeitung.
In der Auseinandersetzung mit Kriegstraumatisierung in Deutschland, stößt man zwangsläufig auf das Arbeitsfeld der Altenarbeit. Die Überlebenden des II. Weltkrieges der ersten, sowie zweiten Generation, sind heute weit über 60 Jahre alt und somit in den Einrichtungen und Hilfesystemen der Altenarbeit anzutreffen. In Hinblick auf die hohe Präsenz dieser alten Menschen im deutschen Hilfesystem der Altenarbeit, findet sich in der Fachliteratur nur wenig zu diesem Thema. Dies lässt mich zu der Annahme kommen, dass Kriegstraumatisierung über lange Zeit ein verdrängtes Thema in der Altenhilfe darstellte und noch immer darstellt.
Das Thema weist eine hohe Komplexität auf, da Erkenntnisse aus der Psychotraumatologie, der Gerontologie und der Altenarbeit im Allgemeinen verknüpft werden müssen. Mit dieser Schwierigkeit versucht sich die vorliegende Arbeit auseinander zu setzten.
Es soll versucht werden eine Antwort zu finden auf die Fragen, welche Elemente und Erkenntnisse der Psychotraumatologie für die Altenarbeit relevant sind, welche Therapieformen in die Altenarbeit übernommen werden können und was dies für die Sozialarbeit bedeuten mag.
Dabei kann der vorliegende Text nicht auf weitere geriatrische Erkrankungen eingehen, da das den Rahmen der Arbeit sprengen würde.
Die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der Arbeit stützen sich auf Literaturrecherche und nicht-repräsentative Interviews.
Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel, die jeweils einen Themenschwerpunkt behandeln. Dabei versucht der Text, sich den zuvor genannten Fragen anzunähern, indem er vom Allgemeinen zum Spezifischen verläuft. Zu Beginn wird das psychische Trauma im Allgemeinen besprochen, um dann im Verlaufe des Kapitels auf das spezifische Kriegstrauma hinzuführen.
Die Eingrenzung der unterschiedlichen Personengruppen scheint in Bezug auf die Komplexität des Themas sinnvoll zu sein.
Zunächst wird auf die Folgen, Therapieformen und die psychosozialen Schwierigkeiten Kriegstraumatisierter eingegangen. Anschließend wird die spezifische Situation des Alters untersucht, um dann in einem weiteren Schritt Erkenntnisse beider Bereiche zu verknüpfen.
Theorien und Therapieformen werden beispielhaft aus einer Fülle von möglichen Antworten genannt. Dabei wird versucht, die für die Sozialarbeit relevanten Aspekte herauszuarbeiten.
Seit dem Balkankonflikt in den 90’er Jahren ist das Thema der Kriegstraumatisierung in Europa erschreckend aktuell geworden. Gerade in Deutschland wurde durch den Bosnienkrieg eine Auseinandersetzung mit den Folgen traumatischer Kriegserlebnisse durch die bosnischen Flüchtlinge unvermeidbar.
Auch der Krieg im Irak im Jahr 2003 richtete abermals die Aufmerksamkeit der Forschung auf die psychosozialen Folgen eines Krieges.
Fundamentale Bedeutung und Aktualität erlangte das Thema in Deutschland durch den 60. Jahrestag des Endes des II. Weltkrieges im Jahre 2005.
Erschreckender Weise wurde festgestellt, dass die psychischen Folgen der NS- Zeit noch immer ein verdrängtes Thema in der deutschen Gesellschaft darstellen. Die Altenhilfe und Altenpflege scheint sich hilflos gegenüber den psychosozialen Folgen des Krieges zu fühlen. Paradoxer Weise ist jedoch eine hohe Anzahl der Klienten in der Altenarbeit in irgendeiner Weise durch traumatische Kriegserlebnisse beeinträchtigt.
Durch mein Projektstudium im Bereich der Altenarbeit wurde ich auf die mangelnde Informationslage über Kriegstraumatisierung in der Altenarbeit aufmerksam.
Die folgende Arbeit bezieht sich vorwiegend auf die Opfergruppe eines Krieges. Die Tätergruppe wird jedoch als Vergleichsgruppe hinzugezogen und mitbesprochen.
Die Bezeichnung und Einteilung von Opfern und Tätern eines Krieges ist problematisch, da jeder Täter auch Opfer ist und jedes Opfer zum Täter werden kann. Der Klarheit halber werden diese Bezeichnungen im Text jedoch verwendet.
Zur Vereinfachung wird jeweils die männliche Form von Berufs- und Klientenbezeichnugen verwendet. Damit sind in gleichem Maße, wenn nicht sogar besonders, die Frauen gemeint, da die Sozialarbeit leider noch immer eine fast weibliche Profession darstellt.
Einen kleinen Teil der großen Anzahl an kriegstraumatisierten, alten Menschen bilden in Deutschland die NS-Verfolgten. Sie haben ihre eigenen, ganz besonders grausamen Erinnerungen an den Krieg und lassen sich nicht mit den Kriegstraumatisierten im weiteren Sinne vergleichen, da der Holocaust innerhalb der von Menschen verursachten Katastrophen eine Sonderstellung einnimmt.
Einerseits erscheint der Holocaust als Paradebeispiel massenhafter Traumatisierung, andererseits als denkbar ungeeignet, in Anbetracht der unübertrefflichen Grausamkeit.[4]
Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich den Holocaust nicht als vergleichendes Beispiel zu anderen Kriegen heranziehe. Die Auseinandersetzung mit den Schicksalen der NS-Verfolgten würde eine eigene Arbeit, in dem Umfang der vorliegenden Arbeit, nötig machen.